Kreidefelsen auf Rügen

Caspar David Friedrich

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Stichwörter des Werks: KreidefelsenRügen

Kurze Vorstellung des Werks

Kreidefelsen auf Rügen
Caspar David Friedrich, 1818
Öl auf Leinwand
90,5 × 71 cm
Museum Oskar Reinhart


Kreidefelsen auf Rügen ist ein 1818 entstandenes Gemälde von Caspar David Friedrich. Das Bild in Öl auf Leinwand im Format 90,5 × 71 cm ist ein Hauptwerk der deutschen Romantik und befindet sich im Museum Oskar Reinhart in Winterthur.


Das Gemälde zeigt eine Steilküste am Meer mit bizarren grell-weißen Felsen. Zwei Buchen berühren sich am oberen Bildrand, rechts steht ein bildbeherrschender Baum einem kleinen Baum gegenüber, der von den Wurzeln nur noch notdürftig gehalten wird. Auf dem schmalen grasbewachsenen Vordergrund befinden sich drei Personen, dem Anschein nach ist es eine Ausflugsgesellschaft. Eine Frau mit rotem Kleid und hoch gesteckten Haaren sitzt im Gras. Sie hält sich mit der linken Hand an einem verdorrten Ast fest und zeigt mit der rechten Hand auf eine Blume und zugleich in Richtung der Klippen. In der Mitte des Vordergrundes kriecht ein Mann ängstlich auf dem Boden, lugt vorsichtig über den Rand und sucht mit den Händen Halt im Gras. Er hat blondes Haar und trägt einen blauen Gehrock, Zylinder und Wanderstock sind abgelegt. Rechts steht ein Mann mutig auf einigen dünnen Ästen über der Tiefe, mit dem Rücken an einen Baumstumpf gelehnt. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt, trägt einen grüngrauen Gehrock und Hut. Er schaut aufs Meer hinaus. Die wenigen Wellen im ruhigen Meer spiegeln die Mittagssonne. Zwei weiße Segelboote sind unterwegs. Die Farben geben dem Bild einen heiteren Charakter.


Friedrich gibt hier mehr als in anderen seiner Kompositionen die Raumkontinuität auf.[1] Er bietet dem Betrachter eine in ihrer Radikalität einmalige Raum- bzw. Flächenkonstruktion.[2] Unter Verzicht auf die Tiefenachse sind bildparallel drei Raumzonen angeordnet, voneinander farblich und motivisch separiert. Die vordere Raumzone öffnet sich in der Bildfläche als eine Art Fenster aufs Meer, von Felsen und Bäumen sehr traditionell gerahmt, durch das die drei Menschen die „Außenwelt“ wahrnehmen. Danach bildet der Bereich der zerklüfteten gespenstisch weißen Felsen den denkbar größten Kontrast zum unendlich scheinenden Meer. Die beiden Schiffe befinden sich wie auf einer immateriellen Folie in einiger Entfernung zueinander und sind dennoch gleich groß. So vermittelt sich die vertikale Spannung zwischen Nähe und Ferne. Die Wirkung eines gefahrvollen Abgrundes entsteht durch die schmale Rasenbank, den Einschnitt in die Klippen und das dahinter wie eine Wand aufsteigende blaugrüne Meer, das erst knapp unter dem Geäst der Bäume in Rosablau verblasst. Die Linie des linken senkrechten Goldenen Schnitts verläuft durch die tiefste Kerbe im Kreidefelsen und wirkt für das Bild harmoniestiftend, lässt das Auge zur Ruhe kommen.[3] Die zentrale Bildform wird je nach Intention als Herzform oder als vollgelaufener Felstrichter betrachtet. Stellt man das Bild auf den Kopf, schlägt die negative Form des Trichters in die positive eines bizarren Berggipfels um. Die Felsen ohne irgendein Leben kontrastieren die Genauigkeit, mit der im Vordergrund Figuren und Vegetation dargestellt sind. Der farbliche Dreiklang Grün-Weiß-Blau wird durch das rote Kleid der Frau erhöht. Für Friedrichs Stimmungstendenz in der Malerei ist dieses Bild ein ungewohnt festliches. Es ist kaum zu erklären, ob die Faszination der Darstellung aus ihrer formalen Kühnheit oder kontrastreichen Farbigkeit entsteht.